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Musiker par excellence
Julian Rachlin
1 February 2013
„Frei, aber einsam“ – dies war der Wahlspruch des berühmten Geigers und Brahms-Freundes Joseph Joachim. „Frei, aber einsam“ – dieses Motto stellt Julian Rachlin zwei Abenden voran, an denen er mit seinem langjährigen Klavierpartner Itamar Golan im Großen Musikvereinssaal Brahms spielt. Über Freiheit, Einsamkeit und einiges mehr sprach er vorab mit den „Musikfreunden“.
Auf Ihrer Website begrüßen Sie die Besucher vom Fußballplatz aus – mit der Geige in der Hand. Woher kommt Ihre Liebe zum Fußball?
Ich glaube, ursprünglich von meinem Vater. Dieser Sport hat mich immer schon fasziniert. Ich habe auch immer gerne selber gespielt – bis heute. Das ist eine gute Abwechslung zur Musik, damit man den Kopf freibekommt. Ich gehe auch gerne zum Zuschauen ins Stadion, ich bin ein großer Barcelona-Fan. Es fasziniert mich, wie schön sie Fußball spielen. Das ist mehr als Sport – das ist fast schon Kunst.
Kunst inwiefern?
Es sind fantastische Persönlichkeiten, die sich auf dem Feld bewegen. Ob das Lionel Messi ist oder Andrés Iniesta, sie alle sind ganz großartige Fußballspieler. Ihre Ballbehandlung, das Kombinationsspiel ist bewundernswert. Und es steckt auch eine Philosophie dahinter: Der FC Barcelona kauft nicht Stars um hunderte Millionen Euro. Sie haben ihre eigene Talenteschmiede, bilden die Kinder schon von klein auf aus, und es ist eine wunderbare Atmosphäre in der Mannschaft. Die Spieler sind sehr demütig, das spürt man. Dieser Verein ist beispielhaft, nicht nur im Sport: wie man etwas aufbaut, wie man miteinander umgeht und wie man zusammenhält.
Erkennen Sie Parallelen zwischen dem Leben eines Sportlers und dem Leben eines Musikers?
Ich bin mit einigen Sportlern persönlich befreundet, und wir finden sehr viele Parallelen zwischen Spitzensport und dem Leben eines Musikers auf hohem Niveau: Disziplin, Konzentrationsfähigkeit, auf den bestimmten Moment X hinzuarbeiten, die Höchstleistung abrufen zu können unter Druck – und natürlich das Streben nach Perfektion; die Neugierde, der Drang zu neuen Gipfeln und wie man sie erreicht; dieses Immer-auf-den-Punkt-Genau, das Immer-wieder-über-sich-Hinauswachsen.
Um das Streben nach neuen Gipfeln aufzugreifen: Den Gipfel der Violinkunst haben Sie früh erklommen, seit Jahren widmen Sie sich zusätzlich verstärkt der Bratsche und in jüngerer Zeit auch dem Dirigieren. Wie kam es zur Erweiterung des Spektrums in diese Richtungen?
Für mich stand nie ein bestimmtes Instrument im Vordergrund. Natürlich bin ich hauptsächlich Geiger; seit ich zweieinhalb Jahre alt bin, spiele ich Violine. Aber ich wollte eigentlich Cello spielen, das ist mein Lieblingsinstrument. Der entscheidende Faktor war für mich immer die Musik, das jeweilige Instrument ist ja nur Ausdrucksmittel. Deshalb war es in meiner musikalischen Entwicklung ganz normal, dass ich mich nach der Violine auch ernsthaft auf die Viola konzentriert habe; das Violoncello ist technisch leider zu weit weg. Und es ist für mich auch eine natürliche Entwicklung, Orchester zu leiten. Als Solist darf man das Stück ja nicht formen. Wie man den Klang, die Agogik, die verschiedenen Nuancen, die Struktur erarbeitet, das entscheidet immer der Dirigent. Das ist ein faszinierender Prozess, den ich irgendwann auch selber erleben wollte.
Wie ist es – allein schon im Hinblick auf die Intonation – möglich, in einem Konzert scheinbar problemlos von der Violine zur Viola und wieder zurück zu wechseln?
Na ja, problemlos ist grundsätzlich gar nichts in der Musik, wenn man es gut machen will. Es ist, wie wenn man von einer Sprache in die andere wechselt. Ich bin dreisprachig aufgewachsen, und jetzt habe ich musikalisch auch drei Sprachen. Alle meine Studenten am Konservatorium spielen Violine und Viola. Das ist ganz wichtig für die musikalische Entwicklung, weil man als Geiger gewohnt ist, die führende Stimme zu haben. Mit der Viola ist man in der Kammermusik mitten im Kern der Musik, man ist viel mehr gezwungen, auf andere Stimmen zu hören und zu reagieren.
Im Musikverein werden Sie an zwei Abenden alle Werke für Violine bzw. Viola und Klavier von Johannes Brahms spielen. Mit Ausnahme des frühen Scherzos komponierte Brahms diese Werke ab 1877. Ist für Sie hier eine Entwicklung erkennbar?
Für mich ist die erste Violinsonate genauso reif wie die zweite Violasonate, das letzte Werk. Es ist bei Brahms anders als zum Beispiel bei den Beethoven-Sonaten, bei denen man klar die Entwicklung sieht: Er beginnt ganz nah an Mozart, sehr klassisch und noch „leicht“. Dann wird eine dramatische Wendung erkennbar, so ab der siebten Sonate, wo die Violine mehr und mehr an Bedeutung gewinnt und zum gleichwertigen Partner wird. Natürlich: Die erste Brahms-Violinsonate hat einen unglaublich intimen Charakter, etwas Sehnsuchtsvolles, keine großen emotionalen Ausbrüche. Auch die A-Dur-Sonate mit vielen Zwiegesprächen zwischen Klavier und Violine ist kein bombastisches Werk. Die kraftvollste von den Violinsonaten ist die dritte – das ist schon ein eindeutig virtuoser, schwergewichtiger Brahms. Aber ich denke nicht, dass das entscheidend ist, um zu sagen, man sieht den frühen oder den späten Brahms. Brahms ist so etwas von komplett von früh an – unfassbar reif.
Das Brahms-Scherzo ist der dritte Satz der F.A.E.- Sonate, einer Gemeinschaftskomposition von Brahms, Robert Schumann und dessen Schüler Albert Dietrich für den Geiger Joseph Joachim. Auf Joachims Wahlspruch „Frei, aber einsam“ bezieht sich der Titel der Sonate – ein Titel, den Sie Ihren zwei Abenden im Musikverein voranstellen. Identifizieren Sie sich mit diesem Motto?
Dieses Motto trifft auf fast jeden Solisten zu. Wir haben keine vorgegebenen Arbeitszeiten. In diesem Sinn sind wir sehr frei. Wir reisen um die ganze Welt, sind eigentlich an niemanden gebunden. Auf der anderen Seite ist natürlich die Einsamkeit. „Einsam“ klingt immer ein bisschen negativ oder traurig, aber es ist nicht nur negativ zu sehen. Ein Musiker braucht die Zeit alleine, er braucht die Zeit mit der Musik. In gewisser Weise ist man ja eigentlich nie allein als Musiker, weil man ja die Musik hat. Und die Musik ist ein Ozean, der einen ein ganzes Leben lang begleitet. Auf Reisen allein zu sein, das ist der andere Teil dieser Einsamkeit.
Was bedeutet für Sie Heimat?
Besonders wenn man viel unterwegs ist, ist es wichtig, einen Anker zu haben – dieses Gefühl, immer wieder an einen Ort zurückzukehren, an dem man sich zu Hause und geborgen fühlt. Meine Heimat ist auf jeden Fall Wien. Ich bin in Wien seit meinem dritten Lebensjahr, eigentlich fast ein Wiener. Wien ist eine der lebenswertesten Städte überhaupt. Gerade wenn man so viel reist, weiß man es noch viel mehr zu schätzen, was wir an dieser Stadt haben. Und natürlich ist Wien für einen Musiker ein absolutes Mekka. Es erfüllt mich jedes Mal mit großer Freude und Dankbarkeit, zu Hause in Wien im Musikverein aufzutreten. Es ist aber auch am schwierigsten, zu Hause aufzutreten – die Erwartungshaltung, von mir selbst an mich, aber auch vom Publikum, ist sehr groß.
Die beiden Brahms-Abende geben Sie mit Ihrem langjährigen Klavierpartner Itamar Golan. Welchen Stellenwert hat diese konstante Zusammenarbeit für Sie?
Es ist wie in einer Beziehung. Je länger man miteinander musiziert, desto interessanter ist der musikalische Entwicklungsprozess. Natürlich spiele ich auch immer wieder mit anderen Pianisten. Aber in diesem Duo, das ich immer als ein gleichwertiges Duo gesehen habe, spielen wir weltweit seit 1996. Itamar Golan ist einer meiner wichtigsten Freunde, auch privat – ich bin der Pate seines Kindes. Wir haben sehr viel zusammen erlebt, und es ist auch, glaube ich, die Interpretation viel gehaltvoller, wenn man mit jemandem auf die Bühne geht, den man seit so vielen Jahren kennt – privat, aber eben auch musikalisch. Das ist eine ganz andere Ausgangssituation für die Musik.
Das Gespräch führte Ulrike Lampert.
(c) Zeitschrift "Musikfreunde"